Das Risiko eines Atomkriegs aus Versehen besteht vor allem dann, wenn in einer Krisensituation ein Frühwarnsystem einen Raketenangriff meldet und eventuell zeitnah weitere Ereignisse eintreten, die mit der Warnmeldung in Zusammenhang gesetzt werden können. Die nachfolgend beschriebenen Aspekte werden die Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen in Zukunft deutlich erhöhen.
Klimawandel
Der Klimawandel wird vermutlich dazu führen, dass verschiedene Regionen unbewohnbar werden und damit vermehrt Klimaflüchtlinge verursachen. Der verfügbare Lebensraum wird kleiner, wichtige Ressourcen, wie zum Beispiel Wasser, knapper. Dadurch wird es in Zukunft häufiger politische Krisen und eventuell sogar kriegerische Konflikte geben. Als Folge werden Raketenangriffsmeldungen deutlich gefährlicher. Das erhöhte Risiko eines Atomkriegs durch den Klimawandel wird seit 2007 auch bei der Atomkriegsuhr berücksichtigt.
Cyberattacken
Cyberattacken können gefährliche und unkalkulierbare Wechselwirkungen mit Frühwarnsystemen sowie den Nuklearstreitkräften erzeugen und damit das Risiko eines Atomkriegs aus Versehen erheblich erhöhen. Über mögliche Abläufe von Cyberkriegen gibt es bisher wenig Erfahrung. Ein Cyberkrieg wird schwer kontrollierbar sein. Es droht eine Verstärkung gegenseitiger Angriffe, die in eine Eskalationsspirale münden könnten. Neue Militärstrategien lassen einen Angriff mit nuklearen Waffen auch bei einem schweren Cyberangriff zu. Auch wenn die Hoffnung besteht, dass eine solche Reaktion im Normalfall nicht erfolgt, ändert sich die Lage, wenn es in zeitlichem Zusammenhang zu einer Raketenangriffsmeldung (als Fehlalarm) in einem Frühwarnsystem kommt. Mögliche Wechselwirkungen zwischen Cyberattacken und Atomwaffen werden in https://www.fwes.info/fwes-21-1.pdf Abschnitte 5.1 und 5.2, ab Seite 19 behandelt. Dieses Beispiel zeigt eine mögliche Risiko-Situation.
Neues Wettrüsten
Mit dem Ende des INF-Vertrages hat ein neues Wettrüsten begonnen. Völlig unkalkulierbar sind die Auswirkungen der geplanten Bewaffnung des Weltraums, sowie die Entwicklung von Hyperschallwaffen, die offenbar schwer zu lokalisieren sind und die Vorwarnzeiten extrem verkürzen werden. Die Komplexität möglicher Warnmeldung wird dadurch drastisch steigen, wobei es kaum möglich sein wird, Frühwarnsysteme bezüglich dieser neuen Waffensysteme zu testen. Des Weiteren gibt es auch Hinweise auf Pläne zu kleineren Nuklearwaffen, die eher eingesetzt werden können. Eine angenommene niedrigere Einsatzschwelle erhöht aber auch die Gefahr, dass eine Alarmmeldung als gültig angenommen wird, denn der Einsatz von Atomwaffen wird ja wahrscheinlicher. Damit steigt auch das Risiko eines Atomkriegs aus Versehen.
Automatische Entscheidungen
Anzahl und Vielfalt an Objekten im Luftraum werden weiter steigen (z.B. Drohnen, Satelliten, Hyperschallraketen). Die Bewertung von Sensorsignalen wird damit schwieriger und es werden immer mehr Verfahren der Künstliche Intelligenz (KI) erforderlich sein, um für gewisse Teilaufgaben Entscheidungen automatisch zu treffen. Auch die Weiterentwicklung der Waffensysteme mit höherer Treffsicherheit und kürzeren Flugzeiten wird zunehmend Techniken der Künstlichen Intelligenz erforderlich machen. Es gibt auch bereits Forderungen in Zusammenhang mit Frühwarnsystemen autonome KI-Systems zu entwickeln, da für menschliche Entscheidungen keine Zeit bleibt. Ein Testen solcher Systeme unter realen Bedingungen ist aber kaum möglich. Auch wird es im Vergleich zu anderen KI-Anwendungen (z.B. autonomes Fahren) deutlich weniger „Lerndaten“ geben, um die nötigen Erkennungskriterien zu erzeugen. Dies kann zu unvorhersehbaren Effekten führen, die eventuell von Menschen nicht bewertet und kontrolliert werden können. In der kurzen verfügbaren Zeit wird es in der Regel auch nicht möglich sein, Entscheidungen der Maschine zu überprüfen. Dem Menschen bleibt nur zu glauben, was die Maschine liefert. Das Problem automatischer Entscheidungen wird in https://www.fwes.info/fwes-ki-20-1.pdf behandelt.
Viele Atommächte
Inzwischen gibt es einige Atommächte. Nicht nur USA und Russland verfügen hierbei über Frühwarnsysteme, sondern auch Atommächte wie China bauen solche auf. Auch in diesen Frühwarnsystemen kann es zu Fehlern und falschen Entscheidungen mit fatalen globalen Folgen kommen.
Krieg -> Atomkrieg
Wenn es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommt, an der Atommächte in Gegnerschaft beteiligt sind, dann wird daraus sehr wahrscheinlich eine „hybride Kriegsführung“ mit zunehmenden Cyberangriffen entstehen. Wenn aufgrund eines Computerfehlers während eines kriegerischen Konflikts ein Frühwarnsystem angreifende Atomraketen meldet und dies in zeitlichem Zusammenhang mit weiteren Ereignissen, wie z.B. schwerwiegenden Cyberangriffen steht, ist ein kausaler Zusammenhang für die Bewertungsmannschaften plausibel. D.h. es besteht die Gefahr, dass die Angriffsmeldung als gültig angenommen wird, was zu einem Atomkrieg aus Versehen führen kann. Eine solche Gefahr besteht heute nicht nur zwischen den Großmächten USA und Russland, sondern kann von jeder Atommacht ausgehen, z.B. im Rahmen eines Konflikts zwischen Indien und Pakistan. Auch ein begrenzter nuklearer Schlagabtausch, z.B. zwischen Indien und Pakistan kann zu einem nuklearen Winter mit gravierenden Folgen für die gesamte Menschheit führen.